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Iran: Komplexe Gefüge und Küsse an Gläsern

Mittwoch 26.4.2017 Fangen wir mit den Kanadiern an. Mit Iran haben sie ein Land gefunden, bei dem einem nicht als erstes das Skifahren in den Sinn kommt. So können sie zwar ein anderes Licht auf das Land werfen. An einigen Stellen ihres Films „Iran: A Skier’s Journey“ wird jedoch sichtbar, dass ausländische Regisseure nicht davor gefeit sind, aus dem Iran heraus das zu berichten, was sie in ihn hineingetragen haben. Da fügt ein Schnitt Dinge zusammen, die so nicht zusammengehören – überspringt 500 Kilometer oder suggeriert unbedingte Geschlechtertrennung in der U-Bahn.

Es ist mal wieder alles nicht so einfach. Man sieht auch in Filmen nicht viel mehr als das, was man schon kennt. Man kann sich aber irritieren lassen. Dafür braucht man nur die Möglichkeit, neue Eindrücke sehen zu können, und Aufmerksamkeit.

Was auch hilft, ist eine Lounge. Zum ersten Mal als Begegnungsort beim Festival eingerichtet, soll sie eine Begegnungsstätte sein und als Ort für Gespräche dienen. So auch hier: Auf der Couch Platz genommen hatten Saeed Nejati, Anoush Masoudi und Felix Völkel. Einer ist aus dem Iran angereist und macht auf einer Tour durch Deutschland einen Zwischenstopp in Jena; der andere ist länger schon hier, ist selber Filmemacher und hat mit Fagus Pauly den Länderschwerpunkt kuratiert; der dritte stellt die Fragen.

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Vom Zeigen

Notwendigerweise war Zensur ein zentrales Thema. „Wir sind nicht glücklich damit, aber wir wissen, damit umzugehen“, stellte Saeed gleich zu Anfang klar. Wer das iranische Publikum respektieren will, der muss auch um seinetwillen bestimmte Zeigeverbote achten. Film, das wird hier deutlich, ist ein Medium der Öffentlichkeit. Was öffentlich gezeigt werden kann, kann im Film gezeigt werden. Was sich in der Öffentlichkeit verbietet, soll auch in Filmen nicht vorkommen. Der weltweit hochgeschätze Abbas Kiarostami zeigte deshalb Frauen nicht in der privaten Sphäre. Er müsste, weil er mit der Kamera in diesem Moment das Private in die Öffentlichkeit überführt, die Frauen auch in ihrem Zuhause mit Kopftüchern zeigen – und damit das Bild der Wirklichkeit verstellen. Deshalb kommen in seinen Filmen Frauen nur im öffentlichen Raum vor.

In „Social Learning Theory“ von Pouria Heydari Oureh zeichnen Kinder Erlebnisse auf und spielen sie nach. Die Affen im Zoo, das Tanzen auf einer Feier, eine öffentliche Hinrichtung: Was sie sehen, das regt sie an, es nachzuspielen. So lernen alle Kinder, so üben sie sich in gesellschaftliche Gepflogenheiten ein. Die Daten von bei solchen Spielen umgekommenen Kindern kontrastiert der Film am Ende mit Dokumentaraufnahmen von Hinrichtungen. Manche Zuschauer nehmen mit dem Handy auf, was sich vor ihren Augen abspielt. Die Kinder im Publikum hebt der Film farblich hervor.

Ähnlich verfährt „Naheed’s Story“, die Animationsdokumentation einer Hilfsorganisation für Flüchtlinge. Als sich da einmal die Hände zweier nebeneinander laufenden Mädchen berühren, umschließt er sie mit einem roten Kreis. Die kleine Intimität der beiden wird im Blick einer Passantin zum großen Ärgernis.

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Von den Verknüpfungen

Wer in Iran Filme macht, die dort auch von vielen gesehen werden sollen, der darf einige rote Linien nicht überschreiten. Der muss und kann aber einen kreativen Umgang damit finden. Kreativ sein, das heißt hier: symbolische Lösungen für Darstellungstabus finden. So kann der Kuss eines Paares nicht gezeigt werden. Aber ein Mädchen kann in einem Café aus einem Becher trinken und ein Junge fast von der selben Stelle des selben Bechers. Dann ist es, als hätten sich Mundwinkel berührt.

Aber die symbolischen Lesarten können auch fehlgehen. Saeeds Film „Soldiers Like the Storks“ konnte problemlos zweimal im iranischen Staatsfernsehen gezeigt werden. Auf einem Filmfestival jedoch durfte er nicht laufen. Ein Offizieller hatte die Symbolik des Films vor dem Hintergrund politischer Auseinandersetzungen gedeutet und schrieb ihm zu, als Fürsprecher des iranischen Nationalismus aufzutreten, der gegen die regierenden Kräfte opponiert. In dem Moment war die falsche Person mit der falschen Deutung am eigentlich richtigen Ort.

Die iranischen Filmemacher*innen, ob sie im Land arbeiten oder emigriert sind, die offiziellen Stellen oder die kanadischen Skifahrer: Sie alle sehen und zeigen etwas anderes. Bringt man ihre Perspektiven aber zusammen, kann etwas aufscheinen. Es sind solche Gefüge, in denen sich immer wieder etwas bewegt.

 

Weitere Termine des Länderschwerpunkts Iran:

27.04., 22.15 Uhr ____ Propaganda im 21. Jahrhundert

28.04., 20.00 Uhr ____ Made in Iran

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