Donnerstag 27.04.2017 Der Festival-Donnerstag stand, so darf man behaupten, im Zeichen der Neuerungen: Mit dem Kino am Markt wurde eine neue Spielstätte für die zweite Edition der „Teen Shorts“ erschlossen und in der brandneuen Festivallounge fand nicht nur der erste Teil des Stop-Motion-Workshops „cellu motion“, sondern auch ein besonderes Musikvideo-Screening statt.
Grenzen, Beziehungen und Obsessionen: Teen Shorts
Anstatt abends im Volksbad ging es am Donnerstag bereits vormittags im Kino am Markt mit den ersten Filmvorstellungen los. Um zehn Uhr öffneten sich die Kinopforten für Schulklassen der neunten, zehnten und elften Jahrgänge. Gezeigt wurden internationale Kurzspielfilme und eine Dokumentation, die sich mit den Lebenswelten Jugendlicher und junger Erwachsener beschäftigen. Ein thematischer Schwerpunkt der Filme waren zwischenmenschliche Beziehungen und die Konflikte, denen sie standhalten müssen: Während Benjamin Leichtensterns „Bis einer weint“ davon erzählt, wie zwei scheinbar ungleiche Menschen im nächtlichen München aufeinandertreffen und durch gegenseitige Anziehung und Abstoßung ihre persönlichen Grenzen austesten, wird das Überschreiten von Grenzen für den obsessiven Programmierer Paul in Simon Schneiders Thrillerdrama „True“ eine persönliche Notwendigkeit. In dem in Erfurt gedrehten Film wird Technologie zum Motor für krankhafte Eifersucht, als die Hauptfigur eine künstliche Intelligenz erschafft, die das Verhältnis zu seiner Freundin gefährdet.
Auch im kanadischen Film „Mon dernièr été“ (My Last Summer) droht die Beziehung eines Jungen und eines Mädchens zu zerbrechen, als eine erschütternde Entdeckung den letzten Sommer in Unschuld einläutet. Das Verhältnis zur eigenen Religiösität wurde in Filmen aus zwei Ländern verhandelt, deren Verhältnis zueinander alles andere als unproblematisch ist. Im israelischen „Mushkie“ von Aleeza Chanowitz treffen Sex, Religion, Freundschaft und Geheimnisse aufeinander. Im iranischen „Bibi“ (Granny) geht es um den Versuch einer wortwörtlichen Grenzüberschreitung: Um der Großmutter die Reise zum Al-Arba’in-Gedenkfest im Irak zu ermöglichen, überlegt sich eine Gruppe von Kindern einiges, um ihr diesen Wunsch erfüllen zu können. Technologie wird hier – im Unterschied zu „True“ nicht zum Verhängnis der Protagonist*innen, sondern sie trägt stattdessen maßgeblich zur Lösung des Problems bei. Nach der Vorführung hatten die Schüler*innen die Gelegenheit, Saeed Nejati, dem Regisseur von „Bibi“, Fragen zu stellen.

Saeed Nejati (Filmemacher, „Bibi“), Anoush Masoudi (Kurator des Länderschwerpunkts Iran) und Antony Kamp (Schüler und Co-Kurator des „Teen Shorts“-Programms) im Gespräch
Am Ende der Vorstellung konnten die Jugendlichen für ihren Favoriten abstimmen. Der vom Biotech-Unternehmen Jena Bioscience Publikumspreis „Teen Shorts Award“ wird bei der Preisverleihung am Samstag, den 29. April verliehen.
Wie man Papier zum Leben erweckt: cellu motion
Um 18 Uhr begann im Volksbad der Stop-Motion-Animationsworkshop „cellu motion“ mit dem französischen Künstler Thibault Joyeux. In halbstündigen Sessions konnten die Teilnehmer*innen lernen, was es heißt, eine Stop-Motion-Animation herzustellen.
Im Gespräch verriet Thibaults Assistentin und Produzentin Juliane Fischer, dass die Figur des liebenswerten Roboters Ed aus dem Studium der Paper-Cut-Out-Technik heraus entwickelt wurde. In bisher ingesamt vier Kurzfilmen treiben Ed und seine Freunde ihr Unwesen. Der letzte, „IKKARIA“, wurde in Jena gedreht und verarbeitet die griechische Ikarus-Mythologie.
Ed ist der Dreh- und Angelpunkt von Thibaults Schaffen – und Keimzelle für die übrigen Figuren, die sich aus den Quadraten und Grafiken, aus denen Ed zusammengesetzt ist, entwickeln. Nach einigen Workshops in Frankreich, wird im Rahmen des 18. cellu l’art Kurzfilmfestivals zum ersten Mal ein Ed’n’Robot-Workshop in Deutschland angeboten. Heute, am Freitag, den 28. April, zwischen 18 und 21 Uhr, habt ihr noch einmal die Chance, euch an der spannenden Animationstechnik auszuprobieren und euch mit Thibault und Juliane zu unterhalten. Mehr Informationen zu Thibault und Ed auf http://www.ednrobot-atelier.com (französischsprachig).
Die Welt der Musikvideos: Zeitgeist
In einem weiteren Lounge-Programmpunkt stellte der Kurator, Filmemacher und künstlerische Leiter des finnischen Loud Silents Stummfilmfestivals Otto Kylmälä Musikvideos vor, die gesellschaftlich aktuelle Themen aufgreifen und künstlerisch verarbeiten. Das Screening begann mit heiter-experimentellen Clips, die die Netzkultur sowohl thematisieren als auch dadurch Teil von ihr werden. Eines der präsentierten Musikvideos ist „Drifted“ von The Shoes, welches eines der bekanntesten Internet-Memes spielerisch-eklektisch mit weiteren GIFs und Web-Videos kombiniert: „Dawson Crying“ bekommt den Mittelfinger entgegen gestreckt, muss dabei zusehen, wie ein Herz in den Windows-Papierkorb geschmissen und wie Kanye West auf einem Motorrad mit der barbusigen Kim Kardashian durch den Monument Valley rast.
Neben einigen weiteren amüsanten Musikclips, wurden auch ernstere Themen angesprochen: LGBT-Rechte, Flüchtlingskrise, häusliche Gewalt. Musikvideos wie „We Exist“ von Arcade Fire und „Borders“ von M.I.A. beweisen, dass Musikvideos mehr sein können als Werbevideos für Popmusik und dass sie mitunter komplexe Geschichten erzählen und an gesellschaftlich aktuelle und relevante Diskurse anknüpfen können. Über die bloße kommerzielle Funktion als Vermarktungsverlängerung hinaus, können Musikvideos so als Spiegel gesellschaftlicher Tendenzen und Probleme auftreten. Darüber hinaus bieten sie die Chance für Filmschaffende, eigene kreative Ideen zu verwirklichen.
Dass es jedoch alles andere als leicht ist, seine Ideen in der Musikvideoindustrie praktisch umzusetzen, zeigte das letzte Video, das Otto dem Publikum vorstellte. „Wyclef Jean“ handelt von den Problemen, die entstanden, als Young Thug – der Interpret des Songs – einfach nicht zum Dreh erschien und die Produktion zu zerplatzen drohte. Regisseur Ryan Staake machte aus der Not eine Tugend und erschuf ein ironisches, amüsantes selbst-referentielles Musikvideo – Unterhaltung gepaart mit augenzwinkernder Kritik.
ALLES KURZ UND KNAPP FÜR FREITAG (28. APRIL)
18.00 Uhr ____ Stop-Motion-Workshop: cellu motion
18.00 Uhr ____ Wettbewerb 5: Unschuldslämmer?!
18.15 Uhr _____ Wettbewerb 4: Strg + Alt + Escape?
20.00 Uhr ____ Länderschwerpunkt 3: Made in Iran
20.15 Uhr ____ Wettbewerb 3: Paranoide Portale
22.00 Uhr ____ Power and Passion
22.15 Uhr ____ Mockumentary
22.00 Uhr ____ Al Dente – Filme für den besonderen Geschmack