Am vergangenen Wochenende taten mein lieber Kollege Martin und ich, in Begleitung zweier äußerst cinephiler Freunde, das, was ein vernünftiges Filmfestival tun sollte: Mal bei einem anderen Filmfest vorbeischauen. Es ging nach Wiesbaden. Das Ganze klingt mehr nach Novum als es in Wirklichkeit ist. Martin besuchte letztes Jahr bereits das „exground“ und ich war vor zwei Jahren auch schon einmal (kurz) da.
Der Wintereinbruch am Freitag bereitete auch uns ein paar Probleme. Einige Schneeverwehungen,
zum Teil dichtes Schneetreiben und – am schlimmsten – ein zweistündiger Stau kurz vor Frankfurt ließen die Fahrtdauer von Jena nach Wiesbaden auf stolze sechs Stunden anwachsen. (Die Rückfahrt dauerte „nur“ dreieinhalb.) Doch dann waren wir da, hetzten erstmal zum Hotel, um die ganzen Sachen loszuwerden und dann ging’s ganz fix zum Kino, wo der Akkreditierungsstand um zehn zumachen sollte. Wir waren exakt 21:58 da. Geschafft! Es konnte losgehen…
Und als Fazit vorneweg: Ein richtig tolles Festival mit sehr starken Filmen und einem schlicht wunderschönen Kino. Die altehrwürdige „Caligari Filmbühne“ wurde 1926 als Stummfilmtheater im neogotischen Stil erbaut, von Volker Schlöndorff als „Juwel unter den deutschen Lichtspielhäusern“ bezeichnet – und sieht einfach hammermäßig aus. Die geschwungene Decke aus Gold, die wunderbar eingebrachte Empore und (gerade für einen ausgehungerten Festivalbesucher besonders wichtig) die Leiste zum Abstellen von Bier, Knabberzeug etc. vor jedem Sitz sind definitiv Dinge, die einem Filmliebhaber Tränen in die Äuglein treiben.

Wer so ein Kino hat, kann ein Festival eigentlich gar nicht versauen. Naja, ok: Die Filme sollten schon auch ein bissel passen. Aber das taten sie beim exground auf jeden Fall. Am Freitag- und Samstagabend haben wir uns insgesamt vier Lang- und 13 Kurzfilme (plus vier Vorfilme) angesehen und dazu gab’s am Samstag noch das Guerilla-Kino-Highlight „A Wall Is a Screen“, auf das ich gleich noch näher eingehe. Wer Kino mag, dem dürfte es beim abwechslungsreichen und durchweg mainstreamfernen Programm ein breites Grinsen ins Gesicht gefräst haben. Bei uns jedenfalls war das so. Los ging’s am Freitagabend um etwa 22:30 (davor lief der großartige Felix Stienz-Film „Antje und wir“, den man möglicherweise ebenfalls beim cellu l’art 2009 sehen wird ;-)) mit dem äußerst asiatischen, aber bezaubernden „Sparrow“ von Johnny To aus Hongkong. Eine Taschendiebbande, bestehend aus vier Brüdern, verliebt sich in eine geheimnisvolle Schöne und gerät dadurch ein wenig in Schlamassel… Sehr schön durchstilisiert und mit einem großartigen Score gesegnet. Der Auftakt war also schon mal gelungen und danach kam dann (zumindest für Martin und mich) das Highlight des Abends, nämlich die Kurzfilmrolle „Short Matters!“. Dies ist sowas wie der „Europäische Kurzfilmpreis“, bei dem wir die 13 Nominierten sahen, die zuvor schon jeweils eines der wichtigen europäischen Kurzfilmfestivals (wie Berlin, Tampere oder Edinburgh) gewonnen hatten. Ein durchweg hochklassiges Programm mit wirklich besonderen und ungewöhnlichen Filmen. Da wären z.B. der „Handy-Battle“ zweier älterer belgischer Damen in „Kwiz“, die Verständigungsprobleme eines englischen Geschäftsmannes in einem Tokioter Hotel oder die bizarre und bitterböse Begegnung zweier Norweger irgendwo im Nirgendwo zu nennen. Dazu zwei ganz starke spanische Produktionen (die eine, „Salvador“, lief bereits im Wettbewerb des cellu l’art 2008), die ich mir für unseren Länderschwerpunkt sehr gut gemerkt habe…
Nach einer verdammt kurzen Nacht (wir waren erst gegen halb fünf im Bett) ging’s am Samstag weiter. Zunächst natürlich mit dem obligatorischen Stadtbummel. Wer es nicht kennt: Wiesbaden ist recht mondän, aber auch einigermaßen schick. Der erste Film am späten Nachmittag war dann der in der Jugendfilmreihe präsentierte schwedische Streifen „The King of Ping Pong“. Ein ganz und gar bizarrer, aber auch begnadet gespielter Genremix, dessen ziemlich kräftiger junger Hauptdarsteller es nicht allzu leicht hat, da er andauernd von jüngeren Mitschülern Eine drauf kriegt und zudem erfahren muss, dass sein jüngerer Bruder… (ähm, tschuldigung, jetzt hätte ich fast nen unverzeihlichen Spoiler eingebaut) Jedenfalls: Klasse Film!

Und dann kam das mit Spannung erwartete Guerilla-Kino-Event „A Wall Is a Screen“. Punkt acht hatten sich bereits einige Menschen (ich schätze etwa 100-150) direkt vorm Kino eingefunden und versorgten sich – bei Temperaturen um den Gefrierpunkt nur allzu verständlich) erstmal ordentlich mit Glühwein. Wir natürlich auch. Dann ging‘s nach einem merkwürdigen Vorfilm los. Die Hamburger Veranstalter ließen verlauten, dass es einen kleinen Stadtrundgang geben würde und eine Dame mit einem großen Megaphon immer Infos zum jeweils an einer anderen Mauer in der Innenstadt projizierten Film geben würde, der auch niemals länger als zehn Minuten ginge. (Ein Glück, bei der Kälte!) Und so setzten sich die „Massen“ nach dem ersten witzigen Film vorm Caligari in Bewegung. Richtig putzig sah es nach jedem Film aus, als einige der Crew-Mitglieder mit Beamer, Boxen und mobilem Generator „bewaffnet“ wie Gockel auf Ecstasy durch die Menschentraube hindurch zum nächsten Punkt der Route hetzten. Unter anderem wurde an eine Mauer in direkter Sichtweite zum Fast Food-Riesen mit „M“ und an eine Wand des hessischen Landtages projiziert. Schöne Idee! Die Filme waren auch wieder alle ziemlich cool. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir ein herrlich sarkastischer Song über „Cows with Guns“ sowie ein ziemlich krasses Portrait über die Tötungsaktion eines völlig unschuldigen Brasilianers im Anschluss an die U-Bahn-Anschläge von London 2005 durch die Polizei.
Zum Glück ging die Tour durch den „Eisschrank Wiesbaden“ dann auch nur gute eineinhalb Stunden. Es wartete schon der nächste Langfilm auf uns. „9TO5 – Days in Porn“ ist eine Doku über die US-amerikanische Porno-Industrie. Natürlich war das Interesse hieran groß. Der deutsche Filmemacher Jens Hoffmann und seine Produzentin hatten es sich nicht nehmen lassen persönlich nach Wiesbaden zu kommen und sich den Fragen des Publikums zu stellen. Ich persönlich fand die Doku gut, meine drei Mitstreiter allerdings weniger. Naja, Hoffmann kündigte an, dass der Film MÖGLICHERWEISE im Frühjahr in die deutschen Kinos kommt, dann könnt ihr euch selbst ein Bild machen.
So, weiter im Text. Durch die Diskussionsrunde im Anschluss an die Porno-Doku war es inzwischen halb eins geworden, ehe der letzte Film des Abends und auch der letzte Film unserer kleinen exground-Tour beginnen konnte. Und der setzte einigen bereits gesehenen bizarr-komischen (Film)Momenten dann endgültig die Krone auf! „The Machine Girl“ lautete der bereits vielversprechende Titel dieses kleinen Trash-Meisterwerks von Noburo Iguchi aus Japan. Schon die Story ist vollkommen absurd: Ein Mädchen hat seinen geliebten Bruder verloren und schwört Rache an seinen Mördern. Dabei wird ihr (in einer urkomischen Szene) von einem Samuraischwert ein Arm abgesäbelt. Diesen ersetzt sie – natürlich! – durch ein richtig gewaltiges Maschinengewehr. Es spritzen Blut und Gedärme, dass es nur so eine Freude ist. Eigentlich genau das Richtige zum Ausklang eines solchen Festivals. Wären da nur nicht meine hämmernden Kopfschmerzen gewesen. Naja, zwei Aspirin vorm Schlafengehen sorgten dann doch etwas für Linderung.
Filmisch überwältigt, jedoch recht fertig nach insgesamt knapp 15 Stunden Film an zwei Abenden traten wir am Sonntag die Heimreise an. Aber es scheint sicher, dass wir dem exground irgendwann nochmal einen „Dienstbesuch“ abstatten.
Übrigens: Es ist schon bemerkenswert, wie es in Wiesbaden einem Kernteam von gerade einmal 10 bis 13 Leuten (Aussage der Veranstalter) gelingt ein derartig gewaltiges Filmfest – über zehn Tage – aufzuziehen. Natürlich spielt die dicke finanzielle Förderung des Landes Hessen eine Rolle, aber eben auch Erfahrung (es war bereits die 21. Auflage des exground) und der gute internationale Ruf spielen eine zentrale Rolle. Da muss man erstmal hinkommen…