// Bettina

Als die Bilder erzählen lernten

Das 22. Filmfestival Il Cinema Ritrovato in Bologna

Wann wurde der Film zu dem, was wir heute als Film verstehen? Wo liegen die Ursprünge dafür, dass wir die Aneinanderreihung von Einstellungen nicht als willkürlich betrachten, sondern ihnen klare Sinnstrukturen zuordnen können? Denn unser landläufiges Verständnis vom Film, wie wir ihn heute zu sehen und zu verstehen haben, war nicht von Beginn an in Stein gemeißelt. Was für ein langer Weg war notwendig. Wie viele Jahre gingen ins Land vom einfahrenden Zug der Gebrüder Lumière in den Bahnhof von Ciotat 1895 bis zu den genialen Parallelmontagen eines D.W. Griffith im Jahr 1908. Erst mit dem Brighton-Kongress 1978 wurde diese frühe Zeit des Films ernsthaft wissenschaftlich beleuchtet. Filmtheoretiker und –historiker der jungen Generation wie David Bordwell und Tom Gunning versuchten diese Frühwerke in einen eigenen historischen Kontext zu setzen. Mit ihren Werken prägten sie für die kommenden Jahrzehnte einen analytischen, theoretischen und historischen Diskurs. Tom Gunning setzte in seinem Werk Cinema of Attractions den Wendepunkt vom Jahrmarktskino zum narrativen Kino für das Jahr 1906/07 an. Das Kino entwickelte sich nun zu etwas Stationärem, das nicht nur die affektive Schaulust befriedigen sollte, sondern auch die kognitiven Fähigkeiten des Zuschauers ansprechen wollte. Das Geschichtenerzählen rückte nun mehr und mehr in den Fokus.

Dieser Entwicklungsprozess (und weit darüber hinaus) ließ sich wunderbar bei der 22. Auflage des Il Cinema Ritrovato in Bologna verfolgen. Dieses einmalige Filmfestival verschreibt sich der Frühphase des Kinos und präsentiert wiedergefundene und restaurierte Filme und lässt sie in neuem Glanz erstrahlen. Eine jährlich wiederkehrende Rubrik ist dabei Vor 100 Jahren, die ein bestimmtes Jahr ins Zentrum stellt.

Tom Gunning

Dieses Mal wurde das Jahr 1908 ausgeleuchtet und Tom Gunning präsentierte und kommentierte Werke aus der Frühphase von D.W. Griffith. So waren Film mit ihm als Darsteller, als auch Filme unter seiner Regie zu bestaunen, die gekonnt mit parallelen Handlungssträngen spielten.

Dass Josef von Sternberg nicht zwangsläufig Marlene Dietrich bedeuten muss, wurde wortwörtlich als Programmpunkt übernommen. Josef von Sternberg, non solo Dietrich zeigte über die Festivalwoche hinweg ein komprimiertes Regieleben einer der großen und wohl auch exzentrischsten Filmschaffenden. The Docks of New York von 1928 nimmt das vorweg, was Sternberg mit seinem Kunstobjekt Marlene Jahre später in Filmen wie Blonde Venus und Shanghai Express perfektionieren sollte. Das gekonnte Einsetzen von Licht und das Spiel mit den Schattenwirkungen, die die Aufmerksamkeit des Zuschauers ohne große Montage auf das Bedeutsame zu lenken vermögen.

BlackmailEin ganz besonderer Leckerbissen war an einem warmen Sommerabend auf der Piazza Maggiore zu sehen. Ein frühes Werk Alfred Hitchcocks aus dem Jahre 1929 Blackmail. Dieser Stummfilm wurde vom Orchester Teatro Communale begleitet und tauchte den Platz in einen wahren Klangteppich. Selbstverständlich lag das Hauptaugenmerk auf dem Visuellen und die Handschrift des Altmeisters war bereits in diesem Film deutlich zu erkennen. Gekonnt baute er die Spannung auf, spielte mit Licht und Schatten und setzte mit raffinierten Großaufnahmen Akzente. Über dem gesamten Film schien auch ein Schleier aus schwarzem Humor zu liegen.

Das Kino in seiner ganzen Breite kam im Schwerpunkt Kino, größer als das Leben zur Geltung. Die ersten Cinemascope-Filme aus der Mitte der 1950er Jahre erstrahlten in ihrer Farbenpracht in einem modernen Kinosaal und am Abend auf einer riesigen Leinwand auf dem Piazza Maggiore. Dieses besondere Filmformat mit seiner Ausdehnung von 2,55:1 lud geradezu dazu ein panoramaintensive Western (Men of the West) und kostümüberladene Dramen (Lola Montes) zu drehen.

David BordwellEs gäbe noch viel zu berichten. Doch die große Menge an sehenswerten Filmen lässt sich auf diesen wenigen Zeilen nicht komplett niederschreiben. Es bleibt festzuhalten: Ein beeindruckendes Festival, das den Horizont eines jeden Cineasten zu erweitern vermag und Lust auf mehr macht. Bis zum nächsten Jahr.

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