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Interfilm Berlin – Die Erste

Internationaler Wettbewerb – Kurzfilm-Kaleidoskop auf hohem Niveau

Christoph

Ein Wettbewerb ist immer nur so gut wie seine Teilnehmer. Der Veranstalter muss also bereits bei der Auswahl und sogar schon bei der Konzeption auf Qualität und Publikumspräferenzen achten. Dem interfilm-Team darf diesbezüglich ein großes Kompliment ausgesprochen werden. Vielfalt und Qualität der Beiträge im Internationalen Wettbewerb des 26. Internationalen Kurzfilmfestivals Berlin waren auf beinahe durchgehend hohem Niveau angesiedelt. Dies mag auch an der Konzeption liegen, die sich an thematischen Schwerpunkten – und nicht, wie ebenfalls möglich, an unterschiedlichen Genres – orientiert. Mit den sieben Programmen „Animiert“, „Unfälle & Zwischenfälle“, „Verliebt, Verlobt, Verlassen“, „Familienglück“, „Begegnungen der anderen Art“, „Sturm und Drang“ und „Karambolage“ wurden hier stimmige und publikumstaugliche Themen präsentiert, die außerdem genug Freiraum für ganz unterschiedliche Filme ließen.

Besonders Programm 3 „Verliebt, Verlobt, Verlassen“ bzw. „Love Games“ (der englische Titel ist in diesem Falle doch deutlich angenehmer) konnte auf ganzer Linie überzeugen. Bereits der Auftaktfilm Une Pute et un Poussin (A Whore and a Chick) von Clément Michel aus Frankreich war für Jubelstürme geeignet. Ein junger Mann auf einem Fahrrad in einem unglaublich bescheuerten Hühner-Kostüm trifft auf eine junge Frau am Straßenrand, die dort keinen Anhalter findet, da sie von allen für eine Hure gehalten wird. Natürlich kommen sich die beiden fast zwangsläufig näher und es entwickelt sich eine wunderbare kleine Liebesgeschichte. Shane Martins Separations Agency aus Irland punktet mit einem besonders zynischen Umgang mit dem Thema Trennung, Rose Glass‘ Moths aus England dagegen mit der herausragend inszenierten Begegnung zweier Nachbarn durch ein Loch in der Wand und kommt dabei vollkommen ohne Dialoge aus. Ästhetisch herausragend präsentiert sich Nuit Blanche von Arev Manoukian aus den USA. Das typische Stehenbleiben der Welt beim Anblick eines faszinierenden Menschen wird hier sehr sprichwörtlich umgesetzt und mutet beinahe wie ein handwerklich perfekter Parfum-Werbespot an. Aber auch „exotischere“ Filmländer wie die Niederlande (Val Dood! von Arne Toonen) und die Schweiz (Eine bombige Hochzeitsnacht von Stefan Muggli und Christoph Arni) zeigen mit skurrilen Filmen einen ganz eigenen Zugang zum Thema.

Gespickt mit filmischen Geheimtipps war außerdem Programm 2, das unter dem Motto „Unfälle & Zwischenfälle“ zu sehen war. The Origin of Creatures von Floris Kaayk aus den Niederlanden unternimmt als hochaufwendige Animation den Versuch die Entstehung von Leben nach einer Katastrophe zu beschreiben. In Michael Haveniths La Fin du Monde (Belgien) geht es ebenfalls um Dunkelheit, allerdings in einem ganz realen, sozialen Kontext. Der Stromausfall in einem Kaufhaus dient hier als Metapher für die Entfremdung der Menschen im gegenseitigen Miteinander. Perfide erzählt der Mexikaner Jacques Bonnavent in La Mina de Oro (The Gold Mine) die Geschichte der Internetbekanntschaft einer alleinerziehenden Mutter. Ähnlich derb geht es im grandiosen israelischen Film Laharog Dvorah (To Kill a Bumblebee) von Tal Granit und Sharon Maymon zu, der auf makabere Weise den Wert eines Lebens diskutiert und völlig verdient eine Lobende Erwähnung der internationalen Jury erhielt. Zum Abschluss des Blocks verarbeitet Fausto Noro in Au meu pai com carinho (To My Dad With Love) die nach eigenen Angaben häufige Entführungspraxis in Brasilien mit einem Augenzwinkern. Überhaupt scheint (Galgen)Humor ein gängiges Mittel vieler Filmemacher zu sein, um komplexen sozialen Phänomenen zu begegnen. Nicht das schlechteste Mittel, wie ich finde.

Nicht unerwähnt darf natürlich der (durchaus verdiente) Sieger des Internationalen Wettbewerbs bleiben. Und der kam aus Deutschland. Mit A Lost and Found Box of Human Sensation gelingt Martin Wallner und Stefan Leuchtenberg ein beeindruckendes Portrait über den Umgang mit Verlust und Depression, welches in mehreren Akten erzählt ist. Als „unique selling point“ der Animation erweist sich vor allem der Gewinn von Joseph Fiennes und Sir Ian McKellen als Sprecher der komplett englischen Textpassagen. Die eindringliche Erzählweise der beiden Ausnahmeschauspieler verschafft dem Film nicht nur einen „Starbonus“, sondern hievt ihn auch in Sachen Tiefgang und emotionale Dichte deutlich aus der Vielzahl der anderen Wettbewerbsbeiträge heraus. Herzlichen Glückwunsch an die beiden äußerst sympathischen Filmemacher (wovon sich der Autor im persönlichen Gespräch überzeugen konnte), von denen wir hoffentlich noch viel zu hören und noch mehr zu sehen bekommen werden.

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